Digital = Dumm?


Interview mit Dr. Christian Montag




Dr. Christian Montag

Christian Montag ist Leiter der Abteilung Molekulare Psychologie an der Universität Ulm. Er beschäftigt sich mit dem Einfluss, den Internet, Smartphones und Computerspiele auf unsere Emotionalität, Persönlichkeit und die gesamte Gesellschaft haben.
Womit beschäftigen Sie sich aktuell in Ihrer Forschung?
Es geht uns um Persönlichkeitseigenschaften, aber auch um Suchtverhalten. Wir unterscheiden zwischen den substanzgebundenen Süchten, wie Alkoholismus und Nikotin-Abhängigkeit und nicht-substanzgebundenen Süchten. Dazu gehört Glücksspiel, aber auch so etwas wie die Übernutzung des Internets und des Smartphones. Wir untersuchen hier mit molekulargenetischen Verfahren, als auch mit bildgebenden Verfahren des Gehirns, ob wir Überlappungen finden, was die Gehirne von „Internetsüchtigen“ betrifft und solchen, die von anderen Drogen abhängig sind.
Wie machen sich Unterschiede zwischen Internetsucht und anderen Süchten bemerkbar?
Während bei Alkoholismus eigentlich immer eine „zero tolerance“ gefordert ist, ist bei der Internetsucht natürlich nicht das Ziel, dass man nie wieder online geht. Wir sehen, dass vor allem die private Nutzung das Problem darstellt und nicht die berufliche. Und es wäre natürlich ganz fatal für eine Person, die in diesem Bereich Probleme hat, nie mehr das Internet nutzen zu dürfen, denn dann könnte sie auch keiner Arbeit mehr nachgehen.
Woran erkennt man die Zusammenhänge zwischen Smartphone-Sucht und anderen Süchten?
Sehen wir uns die Gehirn-Ebenen von typischen Internetsüchtigen und von gesunden Leuten an, sehen wir Auffälligkeit in den Gehirnarealen, die wir auch aus anderen Suchtforschungsbereichen kennen. Es gibt beispielsweise ein Gehirnareal, das eine wichtige Rolle für die Verarbeitung von Belohnung und Stimuli spielt. Hier können wir bei Internetsüchtigen, die ihr Internetsucht-Stimuli sehen, eine Überaktivität im System beobachten. Wenn wir nur die Neuroanatomie anschauen, dann sehen wir, dass Gehirnareale, die eine wichtige Rolle bei der Konfliktverarbeitung spielen, bei Internetsüchtigen weniger Volumen aufzeigen.
Kann man also bei Internetsucht oder Smartphone-Abhängigkeit von einer klassischen Sucht sprechen?
wir haben vor einigen Jahren eine Studie veröffentlicht, wo wir zeigen konnten, dass der genetische Marker, der üblicherweise mit Nikotin-Abhängigkeit assoziiert ist, auch mit Internetsucht assoziiert ist. Dabei ist ganz interessant, dass Nikotin-Abhängigkeit und Internetsucht gar nicht so häufig miteinander vorkommen. D.h. unser Befund weist eher drauf hin, dass die biologischen Grundlagen, die diesen unterschiedlichen Suchtformen zur Grunde liegen, sehr ähnlich aussehen.
Wie merke ich selber, ob ich Smartphone-süchtig bin?
Zunächst ist allein die Stundenanzahl, die ich am Smartphone oder im Internet verbringe, nicht so aussagekräftig. Für Psychologen sind andere Dinge im Kontext der Sucht von Bedeutung: Zum einen die ständige gedankliche Beschäftigung mit dem Medium, auch wenn ich nicht online bin. Die Daten unserer Pilotstudie zeigen: alle 12 Minuten wird das Handy aktiviert. Das zweite sind so etwas wie Entzugserscheinungen, wenn ich gerade nicht online sein kann. Und drittens die Toleranzentwicklung: steigender Konsum des Internets oder des Smartphones um den gleichen Glücksmoment zu erreichen, wenn ich die Mediennutzung habe. Anzeichen für Smartphonesucht: 1. Ständige gedankliche Beschäftigung 2. Entzugserscheinungen 3. Toleranzentwicklung
Sie sind an einem Forschungsprojekt beteiligt, bei dem mit einer App (Menthal) der Smartphonekonsum aufgezeichnet wird.
Das ist ein Projekt, das ich mit Alexander Markowetz aus Bonn zusammen mache. Diese App trackt im Alltag das Nutzerverhalten von klassischen Smartphone-Usern. Uns geht zunächst nicht darum über Sucht zu sprechen, sondern erstmal zu schauen, wie stark das Smartphone unseren Alltag dominiert. Das ist eigentlich zuerst die Hauptfrage. Wir haben nämlich alle das gleiche Problem, dass wir es gar nicht einschätzen können. Wenn wir in diesem Bereich forschen, dann müssen wir das Verhalten aufzeichnen. Wir sind mit der Auswertung noch am Anfang, aber die ersten vorsichtigen Zahlen, die ich Ihnen sagen kann, die bewegen sich zwischen 2-3 Stunden Smartphone-Nutzung pro Tag. Ich glaube mit dieser Zahl wird schon deutlich, dass die Smartphone-Nutzung im Alltag sehr hoch ist. Und die üblichen Verdächtigen stehen vorne: Wir telefonieren eigentlich kaum mit dem Gerät, WhatsApp, Facebook und Co. sind die Anwendungen, die den größten Teil in der Nutzung ausmachen.
Wir scheinen uns also erstaunlich oft im Alltag mit dem Smartphone beschäftigen?
Ich glaube eines der Hauptprobleme ist, wie häufig wir unseren Alltag unterbrechen. Es ist klar, dass das auch die Arbeitszeit berührt. Und wir können uns auch nicht mehr konzentrieren. Wir wissen aus der Arbeitspsychologie und der allgemeinen Psychologie, dass wir eine gewisse Zeit brauchen, um vertieft zu arbeiten: da kommen wir gar nicht mehr rein, weil wir ständig durch die Smartphones unterbrochen werden.
Müsste man Smartphones am Arbeitsplatz am besten verbieten?
Es muss um einen bewussten Umgang gehen. Ich muss lernen, in bestimmten Phasen das Smartphone wirklich auszumachen. Und ich plädiere auch für digitale Freizonen im Alltag. Denn man sieht in unserer Forschung: das letzte und das erste, was ein Großteil der Smartphone-Nutzer am Tag macht, ist das Smartphone in die Hand zu nehmen. Damit ist es im privatesten Bereich angelangt, wo der Geist eigentlich mal zur Ruhe kommen könnte.
Ist Smartphonesucht eigentlich nur eine Form der Internetsucht?
Was besonders beim Smartphone ist, dass wir ein Gerät haben, was irgendwie alles kann. Alles, was vorher dagewesen ist. können wir mit diesem Gerät. Wir können damit fernsehen, Computer spielen, kommunizieren, Bücher lesen,… Das heißt, wir haben jetzt sämtliche Quellen in einem Gerät. Ich glaube, das macht den Unterschied aus, dass ein Smartphone „besonders“ süchtig machen kann.
Sind manche Menschen besonders gefährdet für eine Smartphonesucht?
Menschen mit einem
geringen Wert
„Selbststeuerungsfähigkeit“
sind besonders anfällig
für Smartphone-Sucht.
Wir können das einmal aus Sicht der soziodemografischen Variablen anschauen. Momentan ist es noch so, dass eher jüngere Leute betroffen sind. Was Smartphones betrifft, sind Jungs von ihrer Tradition eher computerspiellastig unterwegs und Frauen sind eher bei der Übernutzung sozialer Kanäle, wie zum Beispiel WhatsApp betroffen. In einer globalen Studie zu Persönlichkeitseigenschaften konnten wir einen robusten Zusammenhang mit der Persönlichkeitseigenschaft "Selbststeuerungsfähigkeit" beobachten. Wir sehen in allen Ländern, dass Leute, die einen geringen Wert „Selbststeuerungsfähigkeit“ haben, ganz stark das Internet übernutzen. „Selbststeuerungsfähigkeit“ ist ein Konstrukt an Persönlichkeitseigenschaften, die Menschen beschreiben, die einen geringen Selbstwert haben, nicht zufrieden mit sich selbst sind, die nicht das Gefühl haben, dass sie im Alltag ihre Sachen ordentlich geregelt bekommen und am liebsten jemand anderes sein wollen. In dem Zusammenhang spielt auch Prokrastination eine wichtige Rolle, also dass man Dinge immer aufschiebt. Das sind genau die Leute, die wir hier in dieser Risikonutzergruppe sehen.
Was sagen Sie zum Begriff „Digitale Demenz“?
Zunächst muss man sagen, dass das Feld noch sehr jung ist. Längsschnittliche Studien, die nachweisen könnten, dass die Nutzungen des Internets und von Smartphones zu schlechteren kognitiven Leistungen führen, gibt es noch nicht. Dass wir uns die Telefonnummer nicht mehr gut merken können, weil wir es einfach nicht üben, das sind die Dinge, die noch nicht auf einer breiteren Basis erforscht sind, aber ein Stück weit auch intuitiv nachvollziehbar sind. Wenn ich eine bestimmte Fähigkeit nicht trainiere, dann werde ich sie auch wieder verlernen und dann muss ich in Zukunft mehr Zeit investieren, um diese gleich Fähigkeit aufrecht zu erhalten oder sie wieder zu bekommen.
Was sagen Sie zur These, dass Smartphones dumm machen?
Also zunächst verändert jeder Umwelteinfluss, zum Beispiel das Gespräch, das wir gerade haben Ihr Gehirn. Ihr Gehirn ist nach diesem Gespräch nicht mehr dasselbe, wie vor diesem Gespräch. Das Gehirn ist hochplastisch, d.h. jede Mensch-Maschine-Interaktion, jeder Umgang im Alltag hinterlässt Spuren. Verändert die Smartphonenutzung also unser Gehirn? Ja, sicherlich wird das passieren. Wir wissen aus der Neuroplastizitätsforschung, dass jemand der lange im Orchester spielt, z.B. Geige, bei dem sind die Areale der Hände im Gehirn besonders gut ausgeprägt. Wir sehen auch bei Computerspielern, die besonders exzessiv Counterstrike spielen, dass die „andere Gehirne“ haben. Weil sie z.B. auch schneller auf bestimmte Situationen reagieren können, vor allem beim Computerspielen. Das heißt, Training führt zu einer Veränderung des Gehirns. Auch die Smartphone-Nutzung wird auf jeden Fall Spuren hinterlassen. Inwieweit diese Spuren richtig negativ sind, das heißt, dass unsere kognitiven Fähigkeiten in Form von Aufmerksamkeit oder eben auch der Art und Weise, wie wir uns Dinge merken können, nachlassen, werden wir sehen. Es ist nicht ganz abwegig. Dinge, die wir nicht trainieren, verlieren wir ein Stück weit auch. Könnte ich das aber wieder lernen? Könnte ich – diese Fähigkeiten sind da. Aber das ist immer diese Maxime use it or loose it. D.h. wenn ich etwas trainiere, dann habe ich es. Wenn ich etwas nicht trainiere, dann werde ich es auch ein Stück weit verlernen, aber es irgendwann auch wieder schneller lernen können. Bei der Frage nach negativen Konsequenzen von Smartphones was kognitive Fähigkeiten betrifft, sind wir auch ganz am Anfang. Und dafür brauchen wir einfach längsschnittliche Studien, um das seriös zu untersuchen. Das Phänomen ist viel zu neu, als dass wir das jetzt schon empirisch untermauern können.
Smartphone können mich aber auch produktiv machen?
Wir müssen in
Zukunft gezielt
Kanäle öffnen
können, die von
Bedeutung sind.
Das Smartphone
muss entlasten
und begleiten,
nicht ständig
unterbrechen
Ich würde es als umgekehrte U-Funktion beschreiben: Das Smartphone hat uns lange produktiv gemacht, wir haben schneller gearbeitet, effizienter gearbeitet, aber jetzt kippt das Ganze, weil uns Smartphones den ganzen Tag unterbrechen, uns nicht mehr in das vertiefte Arbeiten kommen lassen. Und ich glaube, an diesem Scheitelpunkt müssen wir jetzt diskutieren, was zuviel ist und was nicht. Das Smartphone der Zukunft wird sicherlich nicht dadurch bestechen, dass es eine noch bessere Kamera hat oder der Chip noch besser ist. Es muss dahin gehen, das ist auch eine Idee meines Kollegen Alexander Markowetz, dass wir gezielt Kanäle öffnen, die von Bedeutung sind. Dass man am Arbeitsplatz sagt: Ok, ich bin von 9 bis 18 Uhr für meinen Chef über alle Kanäle erreichbar, danach gehen die Arbeitskanäle zu. Für den Partner ist man aber immer erreichbar. Dass wir also intelligent steuern können, welche Kanäle wann aufgemacht werden. Diese Kanäle müssen uns im Alltag in Zukunft entlasten, uns begleiten, aber nicht die ganze Zeit unterbrechen.
Welche Auswirkungen hat die Smartphone-Übernutzung auf gesellschaftlicher Ebene?
Zunächst untersuchen wir Auswirkungen auf individueller Basis. Da sehen wir, dass es einen empirischen Zusammenhang zu negativer Emotionalität gibt. Was die gesellschaftliche Konsequenz dieser Geräte betrifft, das ist nach wie vor unklar. Wir hoffen, dass wir durch unser Menthal-Projekt ein bisschen aufmerksam machen. Wir wollen da auch ein bisschen einen gesellschaftlichen Diskurs darüber ankurbeln, öffentlich darüber zu diskutieren: wie wollen wir in Zukunft miteinander umgehen, kommunizieren, was ist eine Situation, in der das Smartphone durchaus genutzt werden kann, wo sind Situationen, wo es nichts zu suchen hat. Außerdem muss man sich damit beschäftigen, wie sich unsere Kommunikation verändert hat. Denken wir an Emoticons, die Kommunikation ist sicherlich kürzer und schneller geworden. Oder die Lesebestätigung bei WhatsApp,… Das sind alles Dinge, da müssen wir uns überlegen: Wollen wir das alles? Und ich bin mir sicher, dass wir in ein paar Jahren zurückschauen und hoffentlich etwas geändert haben und erkennen, dass das aktuell nicht alles so toll ist.
Woran merke ich, dass meine Smartphone-Nutzung in Richtung Sucht geht?
Das große Problem, das wir haben, ist, dass wir uns eigentlich nicht darüber bewusst sind, wie viel wir das Smartphone eigentlich mittlerweile nutzen. Und das ist auch die Idee der Menthal-App: wir wollen den Leuten eine Zahl an die Hand geben, einen Spiegel vor Augen halten. Das ist für viele schon der erste Schritt, um etwas zu ändern. Wenn ich diese Zahl habe, dann habe ich einen Ausgangspunkt, mit dem ich messbar mein Verhalten ändern kann. Deswegen sagen wir auch immer, diese App ist so etwas wie eine digitale Waage. Um einfach schauen zu können, wie schwer bin ich eigentlich?
Es geht also vor allem um das persönliche Bewusstwerden?
Das ist unsere Hoffnung. Wir haben in unserer App auch die Möglichkeit einer Red Flag eingebaut, dass man sich selber ein Nutzungsmaximum definieren kann. Aber wie immer ist ganz wichtig: So ein Veränderungsprozess muss bei jedem selber anfangen, jeder muss für sich sagen, wo das Problem anfängt. Das ist nicht ganz leicht und wir hoffen, dass wir mit den Zahlen den Leuten ein bisschen helfen können.
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Autoren


Lisa Schwarz
Christoph Jäckle

Linrui Dai
Matthias Röck